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Naturmomente

von Dr. Stefan Bosch


Wo überwintern Insekten? Können Rehe erröten? Wie lange schläft ein Gartenschläfer? Warum sammeln sich im Herbst hunderte von Marienkäfern an Hauswänden?

 

Die Natur bietet das ganze Jahr hindurch spannende, manchmal lustige, manchmal nachdenklich machende Phänomene für den, der mit offenen Augen im Garten oder in der Landschaft unterwegs ist.

Einer, der ganz genau hinschaut, ist Dr. Stefan Bosch. Der Diefenbacher Mediziner, Naturschützer und Ornithologe ist im NABU engagiert und beschreibt für uns in einer regelmäßigen Serie „Naturmomente“ vor unserer Haustür.


Grasnelke für Strand und Balkon

(September) Die Grasnelke (Armeria maritima) ist eigentlich eine Strandpflanze und an vielen Küsten der Welt zuhause. Dort wächst sie auf Magerrasen und Salzwiesen, denn als Lebensraumspezialist kommt sie mit kargen, trockenen und schwierigen Standortverhältnissen wie Salz zurecht. Deshalb ist die Grasnelke zwar selten, aber bei den richtigen Rahmenbedingungen lokal häufig und üppig blühend. Dann bedecken Blütenpolster in rosa und purpur vom Mai bis in den Herbst den Boden. Das Blütenmeer ist für Insekten hochattraktiv und lockt zahlreiche Schmetterlinge und Wildbienen an. Und hier werden Grasnelken auch für das Binnenland interessant: Will man für die Artenvielfalt und Insekten effektiv etwas tun, eignet sich die Grasnelke als ideale Steingarten-, Balkon- und Gartenpflanze oder zur Dachbegrünung. Sie ist eine der wenigen Pflanzenarten, die von der Bautätigkeit des Menschen profitiert. Ausweichstandorte sind auch Straßenränder und Grünstreifen, da Grasnelken mit Streusalz gut zurechtkommen. Spezielle Drüsen in ihren Blättern scheiden das aufgenommen Salz wieder aus. Botanisch ist die Grasnelke weder ein Gras noch eine Nelke, sondern ein Bleiwurzgewächs, das in mehreren Unterarten vorkommt.

Obwohl Grasnelken auf widrigen Standorten zurechtkommen, vertragen sie keine Nährstoffeinträge in die Landschaft z. B. durch Düngung, aber auch keine Konkurrenz durch andere Pflanzen und keine Beweidung. In Gärten sind Grasnelken pflegeleicht. Sie gedeihen in verschiedenen Blütenfarben an sonnigen Standorten, in lockerem, eher trockenem und nährstoffarmem Boden. Die Pflanze ist winterhart, ihre grünen Blätter überdauern ganzjährig. Auf die besondere Vielseitigkeit und das große Potenzial für Insekten auch abseits der Küsten hat die Loki-Schmidt-Stiftung hingewiesen, indem sie die Grasnelke dieses Jahr zur „Blume des Jahres“ gekürt hat.


Weitere Naturmomente 2022/2023/2024

(August) Schwarz-weiß gemusterte Vorderflügel, ziegelrot leuchtende Hinterflügel: Der Russische Bär (Euplagia bzw. Callimorpha quadripunctaria) ist ein besonders hübscher Schmetterling, der jetzt im August seine Hauptflugzeit hat. Beim sitzenden Falter sind die roten Hinterflügel meistens von den dachförmig geschlossenen Vorderflügeln verdeckt. Die Flügelmuster werden als so genannte Schrecktracht interpretiert, die Fressfeinden die Ungenießbarkeit signalisieren soll. Auf ähnliche Musterungen setzen auch Brauner Bär, Schönbär und Rotes Ordensband. Der lateinische Artname verweist auf die jeweils zwei, sich bei zusammengelegten Flügeln fast berührenden Punkte auf den Vorder- und Hinterflügeln.

Begegnen kann man dem zu den Nachtfaltern und Bärenspinnern gerechneten Schmetterling vor allem an Waldrändern und Waldwegen, sofern es dort ein reiches Blütenangebot hat. Besonders häufig findet man ihn an den rotvioletten Blüten des Gewöhnlichen Wasserdostes, aber auch an Engelwurz, Rossminze, Goldrute, Disteln und dem Sommerflieder. Russische Bären sind eifrige Blütenbesucher und wirken ziemlich gierig, da sie ihren Kopf und Rüssel ständig hin- und herbewegen. Obwohl eigentlich Nachtfalter sind die Bären auch am Tag aktiv und sonnen sich gerne. Bei großer Hitze suchen sie allerdings schattige Stellen auf. Die schwarzen behaarten Raupen, die vermutlich für den Begriff Bär verantwortlich sind, leben an Him- und Brombeeren, Greiskraut, Klee, Taubnesseln und Natternkopf. Sie tragen an den Flanken weiße Punkte und auf dem Rücken einen gelben Streifen und mehrere kleine rot-braune Warzen.

Der Russische Bär kommt in schwankenden Beständen vor allem im Süden Deutschlands vor. Er steht auf der Vorwarnliste der Roten Liste und ist als eine prioritäre Art in Flora-Fauna-Habitat-Gebieten geschützt. Der Russische Bär wird auch Spanische Fahne oder Spanische Flagge genannt. Genaue Hintergründe für diese Namensgebung waren trotz intensiver Recherche nicht zu eruieren. In früheren Zeiten war es jedoch üblich Bärenspinner nach Städten oder Ländern zu benennen.

(Juli) In der Sonne blauviolett schillernde Flügel, ein schwarzer Körper, beachtliche drei Zentimeter Größe und ein sonor brummendes Fluggeräusch machen die Blauschwarze Holzbiene (Xylocopa violacea) zu einer beeindruckenden und unverwechselbaren Erscheinung.

Sie ist die größte Wildbiene Deutschlands und die am häufigsten vorkommende Holzbienenart. Obwohl ganzjährig unterwegs ist sie zwischen Februar und Juni besonders häufig zu entdecken. Auf Obstwiesen, in Gärten, Parks und Siedlungen sucht sie bevorzugt an Lippen- und Schmetterlingsblütlern wie Platterbsen, Ziest, Taubnessel oder Luzerne nach Nektar. Pollen sammelt die Holzbiene nicht an den Hinterbeinen, sondern in einer Art Kropf und wenn sie mit ihrer Zunge den Nektar in einer Blüte nicht erreicht, beißt sie einfach ein Loch in die Blütenwand.

Als Nistplätze nutzt sie möglichst von der Sonne beschienenes totes Holz, Balken, Pfähle und gelagerte Holzscheite. Hier nagt sie bis zu 40 Zentimeter tiefe Holzgänge, in denen sie die Brutzellen anlegt. Dort schlüpft im Spätsommer die nächste Generation, die in unterirdischen Räumen überwintert, sich im Frühling paart und oft die alten Brutplätze erneut bewohnt.

Mit den steigenden Temperaturen infolge des Klimawandels breitet sich die ursprünglich mediterrane Art zunehmend nordwärts aus. Über den Kaiserstuhl und das Rheintal verbreitete sie sich nicht nur in Baden-Württemberg sondern kommt mittlerweile in der gesamten Republik teilweise recht häufig vor. Die hübsche Holzbiene wurde dieses Jahr zur „Wildbiene des Jahres“ gewählt. Trotz ihrer Größe ist sie völlig harmlos und profitiert im Garten von Blüten und Totholzhaufen.

(Juni) Ein Bild, das von Artenvielfalt, Liebe und Tod auf der Wiese erzählt! Doch der Reihe nach: Zu den typischen Blütenpflanzen artenreicher Wiesen zählt die blauviolett blühende Wiesen-Witwenblume (Knautia arvensis). Aber im Blütenkopf lauert gleich zweimal der Tod, denn hier hat sich eine Veränderliche Krabbenspinne (Misumena vatia) einquartiert. Oft verbringt eine Spinne fast ihr ganzes Leben auf einer einzigen Pflanze. Mit ihren kurzen Hinterbeinen hängt die Spinne an der Blütenunterseite und lauert auf Insektenbesuch, den sie mit ihren beiden langen Vorderbeinpaaren fängt, festhält, mit Gift tötet und aussaugt. Bienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge und selbst Hornissen gehören zur Beute, die sie geschickt packt, um nicht selbst gestochen zu werden. In diesem Fall hat es eine Biene beim Blütenbesuch erwischt. Die Krabbenspinne ist nach ihrer äußeren Ähnlichkeit mit dem Krustentier benannt. Der Zusatz „veränderlich“ bezieht sich auf die Fähigkeit, die Körperfarbe in gewissen Grenzen zwischen weiß, gelb und grün zu variieren. Neben der Tarnung setzt die Krabbenspinne zusätzlich ultraviolette Signale auf ihrem Körper ein, die gezielt Insekten anlocken. Von Spinnen besetzte Blüten werden nachweislich häufiger von Insekten angeflogen als spinnenfreie.

Auf dem gut einen Zentimeter großen, weißen Spinnenweibchen krabbelt noch eine kleinere, dunkle Spinne. Das ist eines der bis fünf Millimeter großen Männchen, das sich mit dem Weibchen paaren will. Allerdings ist dies das zweite lebensgefährliche Unterfangen in der Blüte: Für männliche Krabbenspinnen endet der Liebesakt meistens tödlich und im Verdauungstrakt des Weibchens. Solche Paarungen finden im Frühsommer statt, die Eier werden an Pflanzen abgelegt und die jungen Spinnen überwintern im Boden. Krabbenspinnen leben auf blütenreichen Wiesen und an sonnenbeschienenen Weg- und Waldrändern. Denn überall, wo es bunt und abwechslungsreich blüht, da tobt eben das Leben in all seinen interessanten Facetten.

(Mai) Die Wunder der Natur offenbaren sich oft im Kleinen und erst auf den zweiten Blick. So auch bei der Waldschnepfe (Scolopax rusticola), einem scheuen, seltenen und bestens getarnten Bodenbrüter im feuchten Laub- und Mischwald. Am ehesten kann man den taubengroßen, dämmerungs- und nachtaktiven Schnepfenvogel in der Balzzeit jetzt im Mai und Juni entdecken. Am Boden verschmilzt das rindenartig braun gemusterte Gefieder derart mit dem Waldboden, dass man den Vogel leicht übersieht oder allenfalls versehentlich aufschreckt.

Aber wie machen Schnepfen bei der Balz mit ihrem Tarngefieder im schummrigen Dämmerlicht auf sich aufmerksam? Waldschnepfen fahren bei der Balz zweigleisig: Einmal in der Luft mit charakteristischen Rufen und dann am Boden, bei der die weißen Spitzen der Schwanzfedern zum Einsatz kommen. Wissenschaftler haben diese Federn genau unter die Lupe genommen und verglichen: Nur Waldschnepfenfedern sind in der Lage, über die Hälfte des einfallenden Lichtes zurückzuwerfen. Das ist ein Drittel mehr Lichtreflexion als bei allen bisher geprüften weißen Federn und damit ein Rekord: So viel Licht reflektiert keine andere Vogelfeder. Selbst sehr weiße Arten wie die Raubseeschwalbe, Schneeeule oder das Alpenschneehuhn verweist die Schnepfe auf nachgeordnete Ränge. Erreicht wird die Reflexion des Restlichtes durch die Verdickung und eine spezielle Winkelanordnung der Federästchen sowie mit Lufteinschlüssen im Keratin, die zusammen das einfallende dürftige Dämmerlicht wie Katzenaugen streuen und zurückwerfen. Somit kann eine Schnepfe auch mit Leuchtsignalen ihrer Schwanzfedern in der Dämmerung und nachts kommunizieren, aber nur wenn diese gespreizt angehoben oder im Flug präsentiert werden. Sonst bleibt man besser getarnt am Boden versteckt und unentdeckt.

 

(März) Giftige Tiere und Pflanzen liefern immer gute Schlagzeilen. Für Medien-Hypes im Frühling sorgt jüngst regelmäßig der Ölkäfer (Meloe proscarabaeus), weil er sich ausbreiten und schwere Vergiftungen verursachen soll. Der schwarzblaue Käfer mit den kurzen Flügeln ist vor allem zwischen Mitte März und Juni aktiv, daher auch sein Name Maiwurm. Er lebt auf Wiesen, an Wegen, in Wäldern und Gärten, krabbelt schwerfällig am Boden und ernährt sich von Blütenpflanzen wie Bärlauch, Scharbockskraut und Buschwindröschen. Ölkäfer-Weibchen sind mit ihrem geschwollenen Hinterleib über drei Zentimeter lang, die Männchen deutlich kleiner und an ihren geknickten Fühlern zu erkennen.

An den Beinen sondern die Käfer das Gift Cantharidin ab, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Dieser Stoff ist für Warmblüter hoch giftig und soll in der Antike sogar für Hinrichtungen, später in der Heilkunde gegen Entzündungen oder als Liebestrank genutzt worden sein. Die Vergiftungsgefahr ist indes gering: Wissenschaftlern zufolge müsste ein Erwachsener mehrere der sehr bitter schmeckenden Käfer essen, um Schaden zu nehmen. Auch bei Kindern ist ein Verzehr der bitteren Käfer eher unwahrscheinlich. Nach Kontakt mit dem Käfer oder seinem Sekret empfiehlt es sich die Hände zu waschen, eine vorübergehende Hautrötung ist möglich. Obwohl der abgebildete Käfer auf der Hand sein Gift absonderte, hat es der Verfasser dieser Zeilen die Begegnung schadlos überlebt…

Die befürchtete Ausbreitung relativiert sich bei genauer Betrachtung ebenfalls. Ölkäfer sind in Deutschland schon immer verbreitet, aber selten. Von einer Zunahme kann aktuell keine Rede sein. Ihnen zu begegnen ist eher ein Glücksfall, denn Ölkäfer sind im Bestand gefährdet und stehen auf der Roten Liste. Dies liegt an ihrer komplexen Fortpflanzung: Die Larven sind auf bestimmte Wildbienenarten angewiesen, deren Bestände erheblich abgenommen haben. Die Ölkäfer-Larven lassen sich von den Wildbienen in deren Nistplätze tragen, wo sie sich entwickeln, dann im Boden überwintern und im Frühling schlüpfen. Aber aus den tausenden Eiern, die ein Käferweibchen legt, werden die wenigsten zum ausgewachsenen Maiwurm.

Auch in diesem Fall zeigt sich, dass im Umgang mit Insekten faktenbasiertes Wissen und Gelassenheit die besten Ratgeber sind und die Schlagzeilen nicht die ganze Realität abbilden.

(Februar) Nur wenige Frühblüher tragen den Frühling im Namen. Nach dem ersten Frühlingsmonat ist der auch als Frühlingsknotenblume bekannte Märzenbecher (Leucojum vernum) benannt. Er blüht nach den Schneeglöckchen von Februar bis April in Gruppen und manchmal in so großen Beständen, dass er in dieser Zeitspanne mit einem Meer aus unzähligen weißen Blüten ganze Landschaften prägt.

Märzenbecher wachsen auf nährstoffreichen, feuchten Böden und sind deshalb in Au- und Laubwäldern sowie auf Berg - und Feuchtwiesen zu finden. Auf den ersten Blick erinnern die Pflanzen an übergroße Schneeglöckchen. Aus unterirdischen Zwiebeln sprießen die bis 25 Zentimeter hohen grünen Blätter und Stängel. An jedem grünen Stängel nickt eine weiße, glockenförmige Blüte mit gelbgrünen Flecken an der Spitze der sechs Blütenhüllblätter, die einen veilchenartigen Duft verströmt. Wenn die Samen reifen, neigen sich die Stängel mit der Kapselfrucht zu Boden und die schwarzen Samen werden von Tieren aufgenommen und verbreitet. Danach ist von der vorsommergrünen Pflanze nicht mehr viel zu sehen.

Aufsehen erregen im Frühjahr große Märzenbecherbestände, die den Boden wie mit Schnee bedeckt erscheinen lassen. Die ausgedehntesten Vorkommen sind im Leipziger Auenwald und bei Hameln, wo auf 3,6 Quadratkilometern Märzenbecher blühen. In Süddeutschland kommt die Pflanze auf der Schwäbischen Alb und in den Allgäuer und bayerischen Alpen vor. Im nördlichen Baden-Württemberg gibt es einzelne Vorkommen mit größeren Beständen unter anderem im Naturpark Stromberg-Heuchelberg. Und natürlich in vielen Gärten, wo Märzenbecher gerne als kultivierte Form angepflanzt werden. Die zu den Narzissen- und Amaryllisgewächsen zählenden, wild wachsenden Märzenbecher sind besonders geschützt und stehen als gefährdete Art auf der Roten Liste. Deshalb gilt bei ihnen wie auch bei anderen Wildblumen die Bitte: Anschauen immer, abpflücken nie.

 

 

(Januar) „Schlafen wie ein Murmeltier“ sagt das Sprichwort und bezieht sich auf das Phänomen des Winterschlafes. Mit einem „Leben auf Sparflamme“ überdauern Murmeltiere, Hamster, Igel, Siebenschläfer, Haselmaus und Fledermäuse die kalte Jahreszeit. Da sie dazu frostsichere unterirdische Räume wie Baum- und Erdhöhlen, Felsspalten, Baumwurzeln oder Höhlen aufsuchen, kann man winterschlafende Tiere nur selten beobachten.

Im Herbst fressen sich Winterschläfer ein Fettpolster als Energievorrat und Kälteschutz an. Über den Winter senken sie drastisch ihre Körpertemperatur und reduzieren alle Körperfunktionen auf ein Minimum. Die Temperatur sinkt auf wenige Grad über Null, das Herz schlägt bei Murmeltieren statt 100 nur noch zwei bis drei Mal pro Minute und pro Stunde wird einmal geatmet. Droht der Körper zu erfrieren, heizt die körpereigene Wärmeregulation nach. Murmeltiere schlafen in Gruppen und wärmen sich im gepolsterten Bau gegenseitig, Igel und Schlafmäuse rollen sich zur Kugel zusammen. Übrigens können Nicht-Winterschläfer wie Hirsche, Seehunde, Wale und Vögel wie der Mauersegler ebenfalls vorübergehend ihre Temperatur senken, um Energie zu sparen.

Den Impuls zum Schlafen geben die Tageslänge, Hormone und die „innere Uhr“. Allerdings ist Winterschlaf kein durchgehender Tiefschlaf. Tage- bis wochenlange Schlafperioden werden von mehrfachem Aufwachen unterbrochen. Die Tiere heizen ihren Körper kurz auf, um den Schlafplatz zu wechseln oder Kot und Urin abzugeben. Störungen sind fatal: Sie führen zum Erwachen, und verbrauchen unnötig Energie. Im ungestörten Winterschlaf verlieren die Tiere über ein Drittel ihres Körpergewichtes. Geschlafen wird unterschiedlich lange: Bei Igeln drei bis vier, bei Siebenschläfern sechs bis sieben Monate.

Winterschläfern kann man mit drei Dingen einen erfolgreichen Schlaf ermöglichen: Geeignete frostfreie Verstecke anbieten wie Reisighaufen und Holzbeigen, für absolut störungsfreie Ruhe z. B. in Höhlen sorgen und mit naturnahen Hecken, Wiesen und Stauden ein optimales Nahrungsangebot für die Zeit vor und nach dem Winterschlaf bieten.

 

(Dezember 2023) Der Winter bringt für unsere Singvögel tiefgreifende Veränderungen mit sich. Die Temperaturen sinken, das Nahrungsangebot ändert sich und ist unter Schnee und Eis erschwert zugänglich. Und die Tage im Mittwinter sind kurz. Mit der längsten Nacht des Jahres zur Wintersonnwende am 22. Dezember verbleiben nur knappe acht Stunden Tageshelligkeit zur Nahrungssuche.

Gegen diese Herausforderungen haben unsere Vögel Überlebensstrategien entwickelt. Während Insektenfresser wie Schwalben, Laubsänger und Grasmücken uns im Herbst Richtung Süden verlassen, setzen die Überwinterer auf ein gut isolierendes Federkleid und werden zum Vegetarier: Statt Insekten stehen jetzt die leichter erreichbaren und in ausreichender Menge verfügbaren Samen, Nüsse und Früchte auf dem Speiseplan. Dafür verändert sich im Vogelkörper das Verdauungssystem und es werden kleine Fettdepots für die Nacht gebildet. Die im Winter nicht benötigten inneren Geschlechtsorgane verkleinern sich vorübergehend, aber das Gehirn vergrößert sich bei Arten, die wie der Eichelhäher Futterdepots anlegen. So können sie sich Verstecke besser merken.

Zudem helfen Verhaltensänderungen Energie einzusparen. Vögel mit dunklem Gefieder tanken gerne in der Wintersonne Wärme und kalte Winternächte werden im Schutz der Vegetation, in Nischen oder Höhlen verbracht, die vor allem vor auskühlendem Wind schützen. Dazu stecken die Vögel ihren Kopf und die Füße tief ins Gefieder und plustern sich zu einer runden Federkugel auf, um Wärmeverluste über die Körperoberfläche zu reduzieren. Auf diese Weise übernachten Meisen, Kleiber und Sperlinge gerne in Nistkästen. Oder man wärmt sich gegenseitig: Zaunkönige, Baumläufer und Schwanzmeisen bilden gerne Schlafgruppen, bei denen mehrere Vögel gemeinsam die Nacht verbringen, indem sie ganz dicht zusammenkuscheln

(November) Reife Hasel- und Walnüsse sind bei Menschen und Tieren gleichermaßen beliebt. Zahlreiche Tierarten nutzen das jetzt reichlich vorhandene Nahrungsangebot, um es entweder gleich zu genießen oder von der Fülle etwas für schlechte Zeiten beiseitezulegen. Wegen ihres hohen Gehalts an fettigem Öl sind vor allem Walnüsse als Energieträger gefragt.

Meistens werden Eichhörnchen mit der Nussernte assoziiert. Flink und geschäftig sind die braunen Wipfelstürmer in diesen Tagen in Gärten, Parks und an Waldrändern unterwegs, um die Nussernte einzufahren. Nüsse dienen ihnen als kleiner Notvorrat für den Winter, der in vielen Depots in Boden- oder Baumhöhlen versteckt wird. Dennoch müssen Eichhörnchen im Winter täglich Zugang zu ihre Hauptnahrungsquelle, den Fichten- und Kiefernsamen haben. Mit scharfen Nagezähnen arbeiten sie einen Spalt in die Nussschale und sprengen die Hälften auseinander. Wald-, Rötel- und Gelbhalsmäuse sind auch keine Winterschläfer und legen Vorräte an Nüssen, Kirsch- und Zwetschgenkernen an. Aber wer versteckt muss auch finden: Die meisten Arten nutzen ihr Erinnerungsvermögen, Versteck- und Suchmuster und den Geruchssinn, um selbst bei Schnee die meisten Nahrungsverstecke wieder aufzuspüren.

Im Gegensatz zu Eichhörnchen gehen Haselmaus, Garten- und Siebenschläfer im Herbst in den Winterschlaf. Um sich ein Fettpolster anzufressen, nutzen sie neben Früchten auch Nüsse. Zerspringen herabgefallene Walnüsse am Boden futtern Blau- und Kohlmeisen gerne den energiereichen Inhalt. Rabenkrähen öffnen mit speziellen Techniken hartschalige Nüsse: Sie werfen sie im Flug über Dächern oder asphaltierten Wegen ab bis sie zerspringen, oder lassen sie gezielt von Autos überfahren. Buntspechte klemmen Nüsse in Rindenspalten, um dort die harte Schale mit dem Schnabel aufzuhacken. Oft sammeln sich unter solchen „Spechtschmieden“ jede Menge Zapfen- und Nussreste. Kleiber, Tannen- und Eichelhäher, Tannen- und Sumpfmeise legen ebenfalls vorübergehende kleine Nahrungsdepots in Spalten an. Sie sind damit wie die Eichhörnchen „Ökosystem-Ingenieure“, die sich ihren Lebensraum selbst pflanzen, denn aus vergessenen Verstecken können wieder neue Bäume sprießen.

(Oktober 2023) Mit dem Gartenschläfer wurde ein echter Sympathieträger zum „Tier des Jahres 2023“ gewählt. Der kleine bunte Bilch lebt in Laubwäldern und -wie der Name andeutet- auch in Gärten, sofern sie naturnah sind. Dennoch finden sich Gartenschläfer in Baden-Württemberg schwerpunktmäßig nur noch im Schwarzwald und im Rhein-Main-Gebiet. Denn ihr Verbreitungsgebiet schrumpfte in den letzten drei Jahrzehnten um dramatische 50 Prozent. In nur noch fünf von 26 Ländern gelten ihre Bestände als stabil. Der bei uns stark gefährdete Gartenschläfer ist das am stärksten im Bestand zurückgegangene Nagetier Europas.

Zusammen mit Siebenschläfer und Haselmaus zählen Gartenschläfer zu den Schlafmäusen bzw. Bilchen, die ihrem Familiennamen mehr als gerecht werden: Als nachtaktive Tiere verschlafen sie nicht nur den Tag, sondern in Baumhöhlen und Felsspalten auch das halbe Jahr, denn von Oktober bis April halten sie je nach Witterungs- und Nahrungsbedingungen einen energiesparenden Winterschlaf. Mit 15 Zentimetern Körperlänge ist der Gartenschläfer der kleinste Vertreter der Schlafmäuse und mit einem rotbraunen und grauen Fell oberseits und einem weißen Fell am Bauch der bunteste. Die schwarze Gesichtszeichnung ähnelt der „Zorro-Maske“ und der lange, behaarte Schwanz endet in einer breiten Quaste. Gartenschläfer bewohnen Lebensräume von den Mittelgebirgen, über Laubwälder, Weinberge und Obstwiesen bis zu Stadt- und Schrebergärten, sofern es dort Verstecke in Felsen, Gestein, Totholz oder Nistkästen, dichte Vegetation, freien Boden und abwechslungsreiche Nahrung gibt. Gartenschläfer sind wenig wählerische Allesfresser, benötigen jedoch zu jeder Mahlzeit zwingend Insekten. Beliebt sind im Herbst auch süßes Obst und Beeren.

Da es in Baden-Württemberg trotz eigentlich günstiger Lebensräume einige Verbreitungslücken gibt, wären weitere Nachweise interessant und hilfreich. Beobachtungen von Gartenschläfern (keine Siebenschläfer!) können unter www.gartenschlaefer.de gemeldet werden.

(September 2023) Das Landkärtchen (Araschina levana) ist ein besonderer Falter, der dieses Jahr im deutschsprachigen Raum zum „Insekt des Jahres 2023“ gewählt wurde. Seinen Namen bekam es wegen der an eine Landkarte erinnernde Linienzeichnung auf der Flügelunterseite. Interessanter ist jedoch die Flügeloberseite: Bei der ab April schlüpfenden Faltergeneration ist sie orange gefärbt und bei der Sommergeneration schwarz mit einem weißen Band. Deutliche Färbungsunterschiede bei den Geschlechtern sind in der Tierwelt häufig, aber saisonal unterschiedliche Färbungen eher selten. Die grundlegend verschiedenen Farbmuster entstehen durch unterschiedliche Tageslängen während der Raupenzeit. Wachsen die Raupen an kürzeren Tagen heran, entstehen orange Falter, an längeren Tagen schwarz-weiße. Die Tageslänge bestimmt die Ausschüttung eines bestimmten Hormons in der Schmetterlingspuppe und dieses wiederum bestimmt die Flügelfärbung. Über die Gründe für dieses Phänomen kann man nur mutmaßen, möglicherweise dienen die unterschiedlichen Farben der Tarnung oder Warnung.

Die erste orange Faltergeneration des Jahres schlüpft aus überwinternden Puppen. Sie legen Eier an der Unterseite von Brennnesselblättern ab, aus denen sich in zehn Tagen Raupen entwickeln. Diese verpuppen sich nach drei Wochen und nach zwei Wochen Puppenruhe schlüpft im Juli die Sommergeneration, die den Grundstock für die nächstjährige Generation legt. Wie einige andere Schmetterlingsarten braucht auch das Landkärtchen für seine Raupen Brennnesseln als Wirtspflanzen. Idealerweise stehen sie in feuchten Hochstaudenfluren an Bachufern und Waldwegen. Zusätzlich leben Landkärtchen gerne in strukturreichen, naturnahen Landschaften mit Doldenblütlern wie Wiesenkerbel, Wasserdost und Wilder Möhre als besuchbare Blütenpflanzen. Die Art ist in Mitteleuropa weit verbreitet. Allerdings nehmen seine Bestände in jüngster Zeit regional ab, da es ihm offenkundig zu warm und zu trocken wird. Offenbar weicht es in kühlere Regionen wie Skandinavien und in Gebirgslagen Südeuropas aus. Aufgrund des Klimawandels tritt im Frühherbst zunehmend eine zusätzliche dritte Faltergeneration auf.

(August 2023) Ob Löwen, Ölkäfer, Schlangen oder Spinnen: Vermeintlich gefährliche Tiere sind immer für eine Schlagzeile gut. Mit imposanter Größe und markantem Aussehen hat es auch die Echte Kräuseljagdspinne (Zoropsis spinimana) in die Medien geschafft. Trotz ihrer eindrucksvollen Erscheinung ist die als Nosferatu bekannte Spinne aber halb so wild. Denn kennt man die Verhaltensweisen von Tieren genauer, relativiert sich so manche furchteinflößende Meldung, egal ob es sich um große Säugetiere oder kleine Spinnen handelt.
Die aus dem Mittelmeerraum stammende, braun-gelbe Laufspinne mit geringelten Beinen erreicht eine Körpergröße von bis zu zwei und eine Beinspannweite von acht Zentimetern. Namensgebend ist die an den Vampir Nosferatu erinnernde Zeichnung auf ihrem Vorderkörper. Kräuseljagdspinnen sind dämmerungs- und nachtaktive Jäger, die keine Netze bauen, sondern Insekten auflauern, sie fangen und mit einem Giftbiss töten. Alle Spinnen produzieren Gifte, aber nur wenige der bei uns heimischen Arten vermögen mit ihren Giftklauen die menschliche Haut zu durchdringen.
Genauso wie Kreuzotter, Wolf oder Braunbär sind auch Nosferatu-Spinnen grundsätzlich nicht aggressiv und haben keinen Grund Menschen anzugreifen oder zu beißen. Sie ziehen die Flucht einem Angriff vor. Zu Attacken kommt es, wenn die Tiere bedrängt werden oder ihren Nachwuchs in Gefahr sehen. Dann wird erst gedroht, dann attackiert. Sollte eine Nosferatu-Spinne doch einmal zubeißen, führt dies meistens nur zu einer Hautrötung und vorübergehenden Schmerzen ähnlich wie bei einem Wespenstich. Selten sind allergische Reaktionen möglich.
Nosferatu-Spinnen sind nördlich der Alpen inzwischen weit verbreitet. Der Erstnachweis in Deutschland gelang 2005 in Freiburg. Aktuelle Vorkommen sind in den Tälern von Rhein, Neckar, Ruhr und angrenzenden Gebieten. Vermutlich sind die Achtbeiner mit dem Güterverkehr importiert worden und werden hier vom Klimawandel begünstigt. Während sie am Mittelmeer trockene Wälder bewohnen, sind bei uns Gebäude Ersatzlebensräume.
Weitere Giftspinnen mit ähnlich unspektakulärem Gefahrenpotenzial sind bei uns neben Nosferatu die Große Hauswinkelspinne (Eratigena atrica), der Ammen- (Cheiracanthium punctorium) und Haus-Dornfinger (Cheiracanthium mildei), die Keller-Finsterspinne (Amaurobis ferox) und die Wasserspinne (Argyroneta aquatica). Auch sie sind friedfertig, solange man sie in Ruhe lässt. Es empfiehlt sich nicht, Spinnen oder stechende Insekten mit der Hand zu fangen. Am besten erwischt man sie mit einem übergestülpten Glas und einer untergeschobenen Postkarte, um sie so lebend aus dem Haus zu befördern.

 

(Juli 2023) Wo es blüht, da summt und brummt es und das tiefe Brummen stammt von unseren Hummeln. Zumindest einige der etwa 40 in Deutschland vorkommenden Arten lassen sich mit einem genauen Blick auf deren Hintern identifizieren. Neben dem Hummel-Hintern sollte man aber auch auf die Streifenmuster auf Brust und Hinterteil achten.

Einen weißen Hintern haben Erd-, Baum- und Gartenhummel. Die Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) ist hinter dem schwarzen Kopf dunkelgelb und der Hinterleib gelb-schwarz-weiß geringelt, während bei der Hellen Erdhummel (Bombus lucorum) die gelben Abschnitte hell ausfallen. Baumhummeln (Pyrobombus hypnorum) haben eine einfarbig ockerbraune Brust und Gartenhummeln (Megabombus hortorum) zwei dunkelgelbe Bruststreifen.

Orange-rötliche Hinterteile haben die ansonsten schwarze Steinhummel (Pyrobombus lapidarius) und die Wiesenhummel (Pyrobombus pratorum), deren Brust und Hinterleib hellgelbe Streifen haben. Am gelborangen Hintern erkennt man die Ackerhummel (Megabombus pascuorum), deren Brust ockerbraun ist sowie die Waldhummel mit ihrem zusätzlichen gelbbraunen Brustring (Bombus sylvarum).

Als emsige Blütenbesucher zählen die pelzigen Brummer zu den wichtigsten blütenbestäubenden Insekten. Jede Minute bearbeitet eine Hummel 10 bis 20 Einzelblüten. Sie fliegen bereits bei niedrigen Temperaturen und können mit ihrer langen Zunge auch tiefe Blüten von Fingerhut, Löwenmaul oder Rittersporn bestäuben. Hummelnester werden aus Moos in ober- und unterirdischen Hohlräumen wie Mäusegängen oder Nistkästen gebaut. Dort gründen im Frühling die im Vorjahr begatteten Königinnen einen Staat, der im Sommer je nach Art 50 bis 600 Arbeiterinnen umfasst. Hummelvölker sterben im Herbst ab und nur die jungen Königinnen überwintern. Da ein Hummelstaat bereits nach drei bis fünf Tagen verhungern kann, sind Hummeln zwingend auf ein durchgehendes Nahrungsangebot vom Frühjahr bis in den Herbst angewiesen, das sie in den Blüten zahlreicher Pflanzen finden: Von Krokus, Fingerhut, Melisse, Thymian, Sonnenblume, Kugeldistel über Erbse, Futterwicke, Lauch, Borretsch, Brom- und Himbeere, Löwenzahn, Wiesensalbei, Rotklee, Karde, Herbstzeitlose, Natternkopf bis zu Wildrosen, Holunder, Liguster, Efeu, Clematis und Geißblatt.

Trotz ihres eindrucksvollen Fluggeräusches sind Hummeln friedfertig und ungefährlich. Sie können zwar stechen, tun dies aber allenfalls zur Nestverteidigung. Findet man im Frühjahr eine entkräftete Königin, kann man sie mit einer Zuckerlösung aufpäppeln und damit einen zukünftigen Staat retten. Bei der Mitmachaktion „Insektensommer 2023“ vom 4. bis 13. August können Interessierte Sechsbeiner-Beobachtungen melden und sollen besonderes Augenmerk auf unsere Hummeln legen.

(Juni 2023) Die Konzertsaison bei den Heuschrecken ist eröffnet! Ab Mai stellen die Feldgrillen den ersten Backgroundchor für sonnige Tage und laue Sommerabende. Das rhythmische und unüberhörbare Zirpen ist die bekannteste Lautäußerung unserer Heuschrecken. Bis in den Juli ist schon vormittags bis in die Abendstunden der „Gesang“ über 50 bis 200 Meter weit zu hören. Das Zirpen variiert in Abhängigkeit von der Temperatur zwischen ein bis sechs Mal Zirpen pro Sekunde und hat drei Varianten: Den lauten Lock-, einen leisen Werbe- und einen aggressiven Rivalengesang. Zirpen entsteht, indem die Schrillkante des Vorderflügels über die Zacken der Schrillader gezogen wird, so wie wenn ein Stift an den Zacken eines Kamms vorbeigezogen wird. Paarungsbereite Männchen zirpen im Eingang ihrer Erdhöhle, um ein Weibchen anzulocken. Dieses nimmt mit Hörorganen in den Vorderbeinen den Gesang wahr und nähert sich ihm zur Begattung.

Die knapp drei Zentimeter langen Feldgrillen sind mit ihrem großen kugeligen Kopf, den körperlangen Fühlern, einem tiefschwarzen Körper und dunkelgelben Flügeln unverwechselbar. Feldgrillen sind flinke Läufer und sehr scheu: Bei Annäherung stoppt das Zirpen sofort und sie verstecken sich in den 20 bis 40 Zentimeter langen Erdröhren. Als wärmeliebende Art bewohnen sie sonnige, trockene Stellen an Hängen, Feldrainen, auf Äckern und in Kiefernwäldern. Die Larven ernähren sich von Blättern und Wurzeln und überwintern in den letzten Häutungsstadien in der Erde. Aus der Agrarlandschaft wurden Feldgrillen vielfach verdrängt, sie dehnen ihr Verbreitungsgebiet jedoch wegen des Klimawandels teilweise wieder aus. Maßnahmen der Biotopvernetzung mit Blühstreifen, Ackersäumen, Hecken- und Baumreihen sind für die flugunfähige Grille lebenswichtig, um Artgenossen zu finden und sich neue Lebensräume zu erschließen.

(Mai 2023) Ausgerechnet aus dem Land des makellosen englischen Rasens stammt die Idee des „mähfreien Mai“. Einfach den Mäher stehen lassen und den Pflanzen beim Wachsen und Blühen zusehen! Bewusst seltener zu mähen, ist kein Zeichen von Verwahrlosung, sondern zeugt von ökologischem Bewusstsein. Denn weniger ist mehr: Selteneres Mähen erhöht die Artenvielfalt. Auf seltener gemähten Grünflächen summen nachweislich mehr Bienen und Hummeln und die Nektarmenge kann um das Zehnfache erhöht werden. Die Blüten besuchen Wild- und Honigbienen, Hummeln, Schwebfliegen und Schmetterlinge, die Samen der Gräser und Kräuter fressen Grünfink, Distelfink, Girlitz, Gimpel und Bluthänfling. Ihre Jungen im Nest benötigen neben Insekten zwingend auch diese Sämereien. Ein bekanntes Beispiel ist der Löwenzahn: Die gelben Blüten locken Insekten, die Samen der Pusteblumen sind Grundnahrung des Distelfinken und seiner Küken.

Oft entsteht in Nachbarschaften sozialer Druck, „ordentlich“ zu sein und dann wird im Mai jede Woche bis zu zwei Mal und mehr gemäht. Aber im Einheitsgrün blüht und summt es nicht. Verlängert man jedoch die Mähintervalle, entstehen artenreiche Kräuterwiesen. Je seltener gemäht wird, umso besser. Monatliche Mahd im Hausgarten erzielt die höchste Blütendichte mit Gänseblümchen, Günsel und Klee. Eine Kürzung auf fünf bis zehn Zentimeter regt zu erneuter Blüte an. Wird nur ein bis zwei Mal im Jahr gemäht, haben Gräser und Wiesenblumen wie Margeriten, Wiesensalbei und Wilde Möhre eine Chance. Will man auf das Mähen bzw. den Mähroboter nicht verzichten, können zumindest kleine Blühinseln stehen bleiben. Schnittgut sollte nicht liegen bleiben, sondern kompostiert oder als Mulch genutzt werden. So wird die Wiese magerer, artenreicher und schöner. Da Grünflächen in Privatgärten einen hohen Flächenanteil haben, steht hier ein großes Potenzial zur Verfügung. Der Appell der „NoMowMay“-Bewegung wendet sich aber auch an Kommunen. Wird auf öffentlichen Grünflächen, an Böschungen, Weg- und Straßenrändern weniger gemäht, spart das Kosten und fördert im Gegensatz zur aufwändigen Blühstreifen-Anlage einfach durch Weniger-tun die Artenvielfalt.

(April 2023) Wenn das Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis) blüht, fliegt der hübsche orange-weiße Aurorafalter (Antocharis cardamines). Von April bis Juni überzieht das Schaumkraut wegen seines oft massenhaften Auftretens feuchte Wiesen mit seinen unzähligen, kleinen Blüten mit einem zarten Hauch violett – und spielt im Lebenszyklus des Aurorafalters eine zentrale Rolle. Die kleinen Frühjahrsfalter fliegen von Anfang April bis Mitte Juni in nur einer Generation. Sie bevorzugen feuchte Lebensräume entlang von Waldwegen, Wiesenrändern, Bachufern, kleinen Feuchtgebieten und Naturgärten. Unverwechselbar sind die Männchen mit ihren orangeroten Vorderflügeln und ihrem Verhalten: Rastlos fliegen sie auf der Suche nach Blüten dicht über dem Boden umher und legen nur kurze Stopps zum Nektarsaugen ein. An Ufern und Saumstrukturen suchen sie mit regelrechten Kontrollflügen nach paarungsbereiten Weibchen und fliegen dabei alles an, was danach aussieht. Aurora-Weibchen sind unscheinbar weiß mit schwarzen Zeichen gefärbt und leicht mit Weißlingen zu verwechseln. Beide Geschlechter haben an der Hinterflügelunterseite eine olivgrüne Marmorierung, die der Tarnung beim Blütenbesuch dient.

Pflanzen zur Ernährung und Eiablage sind neben dem Wiesenschaumkraut auch Knoblauchrauke, Pfeilkresse, Hornklee, Wiesenplatterbse und Zaunwicke. Aurora-Weibchen legen einzelne Eier unterhalb der Blüten ab, aus denen sich blaugrüne Raupen entwickeln, die sich von den Blüten und Schoten der Wirtspflanze ernähren. Sie verpuppen sich an Pflanzenstängeln und überdauern dort bis ins nächste Frühjahr als Gürtelpuppen. Aurorafalter haben ihre Flugzeit auf die Blüte des Schaumkrautes abgestimmt und sind in diesem kurzen Zeitfenster häufig zu beobachten. Auch wenn Aurorafalter in Deutschland weit verbreitet und nicht gefährdet sind, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass 63 Prozent der Tagfalterarten langfristig zurückgegangen sind und 42 Prozent als ausgestorben oder bestandsgefährdet gelten.

(April 2023) Hacken, hämmern, klopfen und fulminante Trommelsalven, das sind die typischen Lautäußerungen unserer Spechte, die uns im Frühlingswald auf Schritt und Tritt begleiten. Mit ihren kräftigen Schnäbeln klopfen Spechte Insekten aus dem Holz oder Samen aus den Zapfen, zimmern Bruthöhlen in Baumstämme und schlagen zur Revierabgrenzung weithin ratternde Trommelwirbel. Dabei trifft der Schnabel bis zu zwanzig Mal pro Sekunde auf das Holz und das je nach Spechtart bis zu 12000-mal am Tag. Ein trommelnder Spechtkopf erreicht Geschwindigkeiten von bis zu sieben Metern pro Sekunde. Wird diese Geschwindigkeit beim Auftreffen entschleunigt, entspricht das einem Menschen, der aus vollem Sprint gegen eine Wand läuft. Schon lange stellen sich die Fragen, wie Spechtschädel und das Gehirn dies unbeschadet aushalten und weshalb trommelnde Spechte keine Kopfschmerzen bekommen. Lange meinte man, Kopf und Schnabel funktionierten wie ein Stoßdämpfer, doch diese verbreitete Ansicht gilt aufgrund einer neuen Studie als überholt.

Kopf und Schnabel haben keinerlei stoßdämpfenden Funktionen, sondern bilden zusammen biomechanisch einen hocheffektiven Hammer. Ansonsten bräuchten Spechte wesentlich mehr Kraft, um ins Holz einzudringen. Außerdem sind Spechtgehirne relativ klein und leicht sowie gekippt und so kompakt in den Schädelknochen gelagert, dass ihnen die einwirkende Energie nichts anhaben kann. Erst wenn Spechte mit der vierfachen Stärke auf Holz schlagen, würden sie eine Gehirnerschütterung erleiden. Spechte können also ihren Schnabel bedenkenlos bei der Nahrungssuche und zum weithin schallenden Trommeln mit voller Kraft einsetzen ohne Schäden oder Kopfschmerzen zu riskieren.

(Februar 2023) Lange vor den Schneeglöckchen, Veilchen, Primeln und Leberblümchen trifft man in unseren Wäldern oft noch bei Frost und Schnee auf eine hellgrüne Pflanze, die zwischen Januar und März blüht, die Stinkende Nieswurz (Helleborus foetidus). Der 30 bis 60 Zentimeter hohe immergrüne, mit der Christrose verwandte Halbstrauch wächst gerne im Halbschatten und oft zu mehreren auf kalkhaltigen, stickstoffarmen Böden in Wäldern, Gebüschen und an Wald- und Straßenrändern.

Um Hummeln und Pelzbienen zur Bestäubung anzulocken, bedient sich die Nieswurz eines Tricks: Sie blüht vor den meisten anderen Pflanzen bei noch niedrigen Lufttemperaturen. Um dennoch für Insekten attraktiv zu sein erwärmt sie ihre kleinen, bodenwärts nickenden becherförmigen Blüten mit einer speziellen Blütenheizung um mehrere Grad Celsius über der Umgebungstemperatur. Dazu wandeln Hefepilze in der Blüte einen Teil des Nektars in Wärme um, die die Insekten anlockt und den Blütenduft verbreiten hilft. Aber wozu der ganze Aufwand? Ziel des „Frühblühens mit Heizung“ ist die termingerechte Samenreife im April. Dann fallen die Samen aus den Blütenkapseln zu Boden, genau zur Hauptsammelzeit mehrerer Ameisenarten, die für die Samenverbreitung sorgen. Um die Ameisen als Samentransporteure zu gewinnen, hängt jedem Samenkorn ein kleines, nahrhaftes „Leckerli“ als Gegenleistung für die Samenboten an.

Die Nieswurz ist ein anschauliches Beispiel für die oft sehr komplexen Abhängigkeiten in der Natur, die beim Natur- und Artenschutz mitbedacht werden müssen. Nur im ungestörten Zusammenspiel der Pflanze mit ihren Bestäubern und Samenverbreitern funktioniert dieses System.

(Januar 2023) Die großen weißen Vögel in der Landschaft fallen sofort auf: In den Wintermonaten trifft man häufiger auf Silberreiher, die schlanken, schneeweißen Verwandten des Graureihers. Als Kosmopoliten sind Silberreiher in Amerika, Afrika, Asien und Süd- und Osteuropa zuhause. Dass sie zunehmend im Winter bei uns auf Wiesen, Feldern und an Gewässern präsent sind, liegt am Klimawandel, der Ausdehnung ihrer Brutgebiete und der teilweisen Nahrungsumstellung auf Kleinsäuger.

80 Prozent des europäischen Bestandes beherbergen die Ukraine, Ungarn, Russland und Belarus. Dort brüten die weißen Reiher in Kolonien im Röhricht von Schilfgebieten und ernähren sich im Flachwasser und auf Wiesen von Fischen, Amphibien, Insekten, Reptilien und Kleinsäugern. In Deutschland sind Silberreiher ganzjährige Gäste und brüten seit 2012 an der Ostseeküste. Wegen der milden Winter expandieren die östlichen Populationen seit der Jahrtausendwende gen Norden und Westen, überwintern zunehmend in Mitteleuropa und zeigen eine Vorliebe für süddeutsche Niederungen. Der Winterbestand wird auf bis zu 8000 Vögel geschätzt und übertrifft den des Graureihers. Von den wenigen markierten Reihern weiß man, dass die Herkunft der bei uns weilenden Wintergäste durchaus gemischt sein kann: Sie stammen nicht nur aus Polen und Ungarn, sondern auch aus Frankreich und den Niederlanden.

Silberreiher sind mit bis zu 1,70 Metern Spannweite etwa so groß wie unsere Graureiher, wirken aber schlanker und graziler. Wie Graureiher fliegen sie mit S-förmig angezogenem Hals. Das reinweiße Gefieder, fehlende Reiherfedern am Hinterkopf, dunkle Beine und ein im Winter gelber Schnabel machen sie unverwechselbar. Im Gegensatz zu Graureihern, die auf der Mäusejagd unerschrocken selbst dicht am Straßenrand verharren, sind ihre weißen Verwandten deutlich scheuer und fliegen bei Annäherung frühzeitig auf. Noch sind Silberreiher bei uns Wintergäste und seltene Brutvögel. Im Zuge des Klimawandels könnte sich das mit milderen Wintern und wärmeren Sommern ändern.

(Dezember 2022) Einer der bekanntesten und beliebtesten Gartenvögel ist das Rotkehlchen. Schwarze Knopfaugen, rundlicher Körper, eine leuchtend orangerote Brust und sein zutrauliches Verhalten machen es zum Publikumsliebling. Unter den Futterhausbesuchern ist es eine Ausnahme: Sein feiner dünner Schnabel weist es als typischen Insektenfresser aus und Vogelarten, die sich von Insekten ernähren verlassen uns eigentlich mangels Nahrung im Winter. Gibt es in Gärten aber Laubhaufen, Hecken und einen Kompost, finden Rotkehlchen ausreichend Würmer, Schnecken, Spinnen und Insekten, die es meistens vom Boden aufpickt. Am Futterhaus nimmt es gerne Haferflocken.

Bei aufmerksamem Beobachten wird man feststellen, dass im Garten in der Regel nur ein oder bestenfalls zwei streitende Rotkehlchen zu sehen sind. Das liegt am Verhalten dieser Vogelart, die das ganze Jahr über energisch ein Revier behauptet und keine Artgenossen um sich duldet. Dieses Phänomen zeigt sich auch bei der Gartenvogelzählaktion „Stunde der Wintervögel“: Der langjährige Mittelwert in Baden-Württemberg liegt bei 0,9 Rotkehlchen pro Garten. Männchen und Weibchen sind äußerlich nicht zu unterscheiden und beide Geschlechter singen. Mitunter stimmen sie auch im Winter eine kurze Strophe ihres melancholisch perlenden Gesanges an. Und das Rotkehlchen am Futterplatz muss nicht das Rotkehlchen aus der letzten Brutsaison sein: Unsere süddeutschen Brutvögel sind Teilzieher und viele von ihnen wandern bis Frankreich und auf die Iberische Halbinsel. Bei Rotkehlchen am Futterhaus handelt es sich jetzt um Daheimgebliebene und oft um zugereiste Wintergäste aus Nordosteuropa.

Die „Stunde der Wintervögel“ ist Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmachaktion. Die nächste Zählung, bei der vor allem vogelkundliche Laien eine Stunde lang alle Vögel in Gärten und Parks erfassen, findet vom 6. bis 8. Januar 2023 statt. Ausführliche Informationen zur Aktion, Bestimmungshilfen, Zählbögen und Ergebnisse gibt es auf www.stundederwintervoegel.de.

 

(November 2022) Den Kelten war sie heilig, Miraculix schnitt sie mit goldener Sichel, unter ihrem Zweig darf man küssen, ihre Inhaltsstoffe dienen als Medikamente – aber unseren Obstwiesen setzt sie derzeit vielerorts erheblich zu, indem sie die Bäume schwächt: Die Weißbeerige oder auch Laubholzmistel. Die grünen, kugelförmigen Büsche blühen zwischen Februar und April grüngelb und im Herbst und Winter tragen sie zahlreiche erbsengroße, glasig-weiße, fleischige Scheinbeeren. Diese sind bei Vögeln sehr beliebt. Neben der Misteldrossel fressen 20 weitere Vogelarten die Beeren und scheiden die darin enthaltenen klebrigen Samen aus, die dann an Ästen haften und dort Wurzeln schlagen. Ein Jahr nach dem Keimen beginnt eine Mistel, den Wirtsbaum anzuzapfen. Obwohl Misteln Halbschmarotzer sind und selbst Photosynthese betreiben, entziehen sie ihrem Wirt Wasser und Nährstoffe und schwächen ihn. Kommen Trockenheit, klimawandelbedingter Hitzestress und Baumkrankheiten hinzu, schädigt das den Baum bis in den Tod. Hat sich die Mistel in der Baumkrone etabliert, spielt das „Abtropfen“ von Samen auf darunter liegende Äste und Nachbarbäume zusätzlich eine Rolle. Dabei entleeren die Beeren dehnbare, klebrige Fäden, an denen mehrere Samen wie eine Seilschaft hängen. Besonders betroffen vom Mistelbefall sind Apfelbäume, aber auch Ebereschen, Pappeln, Weiden, Weißdorn, Linden und Birken sowie Birnbäume, die als resistent galten.

Um Obstbäume als einen das Landschaftsbild prägenden Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten zu erhalten, müssen Streuobstbestände regelmäßig geschnitten und von Misteln befreit werden. Im Advent bietet es sich an Mistelbüsche zu schneiden und sie als Dekoration in der Vorweihnachtszeit zu nutzen. Misteln können auf Privatgrundstücken vom Eigentümer oder mit dessen Einverständnis geschnitten werden, denn sie stehen entgegen der verbreiteten Meinung nicht unter Naturschutz. Am besten werden die als grüne Stellen im Holz erkennbaren Saugwurzeln gleich mitentfernt. Eine goldene Sichel braucht es dazu nicht!

 

(November 2022) Quartiersuche steht im Herbst bei vielen Tierarten ganz oben auf der To-Do-Liste. Ein auffälliger Interessent für warme Gebäude ist die Nordamerikanische Kiefernwanze. Die hübsche rotbraune Wanze mit auffällig langen Fühlern ist mit zwei Zentimetern Körperlänge beeindruckend groß und wird oft fälschlicherweise für einen Käfer gehalten. Sie unterscheidet sich von den Käfern durch Duftdrüsen, eine Entwicklung ohne Puppenstadium und einen Saugrüssel, mit dem sie flüssige Nahrung aus Blüten, Trieben und Zapfen aufnimmt. Auffällig sind auch die braunen Flügel, die die Kiefernwanzen zu guten Fliegern mit einem beeindruckenden brummenden Fluggeräusch machen.

Kiefernwanzen legen ihre Eier an Nadelbäumen ab. In warmen Sommern entwickeln sich die Nymphen, die an den Zapfen oder anderen Pflanzen saugen. Neben der namensgebenden Kiefer interessieren sich die Wanzen auch für Fichten, Tannen und Wacholder. Über den Sommer durchlaufen die Tiere fünf Häutungen bis zur ausgewachsenen Wanze, die dann überwintert. Dazu suchen sie Verstecke hinter Baumrinde, in Hohlräumen, Nestern und Gebäuden auf.

Das geballte Auftreten im Herbst in Siedlungen hat mehrere Gründe: In Gärten finden die Wanzen passende Nahrung, als Sonnenanbeter an Hauswänden Wärme und sie sondern ein Sekret ab, von dem Artgenossen zahlreich anlockt werden. Kiefernwanzen sind ungefährlich und verursachen keine Schäden. In der Baumzucht können sie jedoch die Samengewinnung beeinträchtigen. Übrigens verdanken wir es auch dem Weihnachtsbaum, dass Kiefernwanzen Neubürger bei uns sind: Die ursprünglich in Nordamerika westlich der Rocky Mountains zwischen Kanada und Mexiko beheimatete Wanze kam mit Importen von Saatgut, Bauholz und Christbäumen nach Europa und verbreitet sich hier seit 1999 zunehmend.

 

(November 2022) Was wäre der Herbst ohne buntes Laub! Einen großen Beitrag dazu leistet der Essigbaum mit seinen Blättern, deren Farbpalette von grün über gelb zu leuchtend orange und rot reicht und die einen Hauch von „Indian summer“ in unsere Landschaften zaubern. Der Vergleich mit der nordamerikanischen Jahreszeit passt, denn der Strauch stammt aus dieser Region. Wegen seinen beliebten Herbstfarben hat man ihn ab 1602 als anspruchsloses und kälteresistentes Ziergehölz nach Europa eingeführt. Da sich Essigbäume über unterirdische Sprossausläufer üppig vermehren, entstehen oft kleine Dickichte. Wegen dieser teils unkontrollierten Vermehrung sind in der Schweiz Zucht und Verkauf dieser Gartenpflanze verboten.

Wegen der filzig behaarten Triebe, die an den Bast eines Hirschgeweihes erinnern, wird der Essigbaum auch Hirschkolben-Sumach (Rhus typhina) genannt. Im Gegensatz zu seinen teils hochgiftigen Sumach-Verwandten verursachen seine Pflanzenteile und der Milchsaft allenfalls Magen-Darm-Verstimmungen. Die Indianer sollen den Essigbaum zur Blutstillung, zum Gerben und Färben verwenden. Der Einsatz als Lebensmittel ist widersprüchlich: Ein kurz in Wasser eingelegter kolbenartiger Fruchtstand ist als Vitamin-C-haltiges Erfrischungsgetränk „Indian lemonade“ bekannt.  Bei uns geht der Name Essigbaum auf die Verwendung als Säuerungsverstärker im Essig zurück.

Essigbäume wachsen als männliche und weibliche Pflanzen und bilden breit gewachsene, drei bis fünf Meter hohe Sträucher mit meist mehreren verzweigten Stämmen. Als Baum erreicht er Höhen von bis zu 12 Metern. Aus Stammverletzungen tritt ein zäher Saft aus, der bei einer chinesischen Art seit Jahrtausenden als Möbellack verwendet wird. In Gärten angepflanzte Zuchtsorten haben im Gegensatz zur Normalform auch geschlitzte Fiederblätter.

 

(November 2022) Nicht alltäglich ist die Begegnung mit einer Schlingnatter. Die zierliche, graubraune Schlange lebt verborgen und bleibt trotz ihrer weiten Verbreitung meistens die „elegante Unbekannte“. Mit 70 Zentimetern ist die auch als Glattnatter bekannte Schlange eher kurz. Sie wird wegen ihrer dunklen Rückenflecken oft für eine Kreuzotter gehalten, ist jedoch ungiftig und völlig harmlos. Zur sicheren Unterscheidung schaut man ihr in die Augen: Schlingnattern haben runde, Kreuzottern senkrecht geschlitzte Pupillen. Schlingnattern ernähren sich von Eidechsen, Blindschleichen und Mäusen, die sie mit den Zähnen packen, mit ihrem Körper umschlingen und ersticken und mit weit geöffnetem Maul verschlingen.

Schlingnattern brauchen wärmende Sonne und kühle Verstecke. Sie bewohnen gerne kleinräumig gegliederte Landschaften, die reich an Strukturen sind: Warme Felsen, Steine und Totholz sowie Verstecke in Gebüschen und Wald. Deshalb sind die wärmeliebenden Schlingnattern typische Bewohner des Strombergs mit seinen Magerrasen und Weinbergen. Von Oktober bis April halten die Nattern Winterruhe in Erdlöchern und Felsspalten. Im April und Mai ist Paarungszeit. Die Weibchen pflanzen sich alle ein bis zwei Jahre fort und bringen im August/ September lebende Jungschlangen zur Welt.

Die ortstreuen Schlingnattern sind durch Lebensraumzerstörung, Flächenverlust und Verinselung der Populationen bedroht. Da Baden-Württemberg ein Schwerpunktvorkommen ist, tragen wir besondere Verantwortung für dieses bundesweit gefährdete Kriechtier. Schlingnattern profitieren von abwechslungsreichen, unverbauten Landschaften, Weinbergen mit Brachen und unverfugten Trockenmauern sowie Randstreifen, Gräben und Böschungen, die nur im Winter gemäht werden. Letztere sind wichtige Rückzugsorte und Ausbreitungskorridore. Schlingnattern wie Kreuzottern sind streng geschützt und dürfen weder gefangen noch aus unbegründeter Angst erschlagen werden. Das Foto entstand am westlichen Stromberg und zeigt die schlanke Schlange in voller Länge beim Überqueren eines Weges, bevor sie wieder in der Vegetation am Wegrand verschwand.

 

 

(Oktober 2022)  Man fühlt sich fast vom Glück verfolgt: An manchen sonnigen Herbsttagen finden sich an Hauswänden, auf Pflanzen oder Geländern Marienkäfer invasionsartig in teilweise großen Schwärmen ein. Im Herbst sind die kleinen Krabbler auf der Suche nach einem geeigneten Winterquartier. Oft legt ein Schwarm auf dem Weg in wärmere Regionen nur eine Wanderpause an der Hauswand ein - oder er sucht hier einen frostfreien Überwinterungsplatz. Beliebte Orte sind Laubhaufen und geschützte Hohlräume wie Mauerritzen, Dachsparren oder Fensterrahmen, in denen sich die Tiere dicht gedrängt einquartieren.

Es lohnt sich genau hinzuschauen: In Europa gibt es 70 Arten in unterschiedlichen Größen, Farben und mit je nach Art zwischen zwei und 24 Punkten. Bekannt und häufig ist der Siebenpunkt-Marienkäfer mit rotem Körper und sieben schwarzen Punkten. Allerdings wird er zunehmend von dem aus Asien stammenden Harlekin- bzw. Asiatischen Marienkäfer verdrängt. Diese sechs Millimeter großen, schwarz gepunkteten Käfer sind sehr variabel gefärbt: Poppig bunt von orange über rot bis nahezu schwarz. Die meisten Exemplare tragen neunzehn schwarze Punkte auf ihren Flügeldecken. Die Harlekin-Käfer werden im gewerbsmäßigen Gartenbau zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt und sind dadurch mittlerweile nahezu weltweit verbreitet. In freier Natur vermehren sie sich bestens und vertilgen Blattläuse, Gallmückenlarven und leider auch die Larven anderer Marienkäfer. Zudem tragen sie einen für sie ungefährlichen Pilz, der die heimischen Arten schädigt. Deshalb sind die erst seit 2001 in Europa in freier Natur nachgewiesenen Harlekine inzwischen vielerorts häufiger als die alteingesessenen Arten. Im Weinbau können Asiatische Marienkäfer Probleme verursachen, wenn viele Käfer in den Trauben übernachten und ihre Körpersäfte in den Wein gelangen.

Für den Garten sind unsere Marienkäfer auf jeden Fall Glücksbringer, denn Käfer wie Larven haben einen Riesenappetit auf Blatt- und Schildläuse und Spinnmilben, die sie auf natürliche Weise in Schach halten.

 

(Oktober 2022)  Besorgniserregender denn je ist der Zustand unserer Vogelwelt. Ende September legte die Dachorganisation BirdLife International in Cambridge ihren neuen Bericht vor, demzufolge fast die Hälfte aller Vogelarten weltweit Verluste aufweist. Vögel sind sensible Frühwarnsysteme, die uns auf negative Entwicklungen in Ökosystemen und Lebensräumen hinweisen. Jede achte Vogelart ist laut der jüngsten internationalen Roten Liste aktuell vom Aussterben bedroht. Den 49 Prozent an abnehmenden Vogelarten stehen nur sechs Prozent Zunahmen gegenüber. Als Haupttreiber dieser Entwicklung nennt BirdLife die Klimakrise sowie die schädliche Praxis in der Land- und Forstwirtschaft. So ist in Europa die Zahl der Feldvögel seit 1980 um 57 Prozent zurückgegangen.

In der Anfang Oktober von der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) aktualisierten Roten Liste der Brutvögel Baden-Württembergs sieht es nicht besser aus: Von 200 im Land vorkommenden Arten sind 118 in ihrem Bestand gefährdet (59 Prozent). Flussuferläufer, Haselhuhn und Raubwürger sind aus unserer Landschaft jetzt komplett verschwunden. Bei den Arten des Offenlandes hält der starke Abwärtstrend an: Ehemals verbreitete, häufige Arten wie Rebhuhn und Braunkehlchen mussten in die höchste Gefährdungskategorie eingereiht werden.

Dennoch gibt es auch kleine Hoffnungsschimmer: Entschlossenes Handeln kann Arten retten und Natur wiederherstellen. So haben seit 2013 weltweit 726 bedrohte Vogelarten direkt von Schutzmaßnahmen profitiert. Nur eine großflächige Renaturierung und der Schutz von Naturräumen können das katastrophale Artensterben aufhalten und die einmalige biologische Vielfalt erhalten. Dazu braucht es BirdLife zufolge jedoch ambitionierte Ziele, bessere Kontroll- und Umsetzungsmechanismen sowie eine ausreichende Finanzierung.

Im Land konnten Weißstorch und Zaunammer aus der Liste entlassen, Triel, Heidelerche, Halsbandschnäpper und Bluthänfling in weniger gefährdeten Kategorien eingeordnet werden. Neu angesiedelt haben sich Triel und Felsenschwalbe. Allerdings nehmen manche Arten nur deshalb zu, da sie vom Klimawandel profitieren. Die LUBW betont, dass wir in Baden-Württemberg für Alpensegler, Halsbandschnäpper, Purpurreiher und Triel bundesweit Verantwortung tragen, denn diese Arten haben in Deutschland bei uns ihre Hauptbrutgebiete.

 

(Oktober 2022)  Bis zum 27. Oktober wird ein Nachfolger für den Wiedehopf als Vogel des Jahres gesucht. Für 2023 stehen fünf Vorschläge aus den mehr als 300 in Deutschland lebenden Vogelarten zur Wahl. Der Jahresvogel soll ein Botschafter sein, der auf die Gefährdung der Vogelwelt und Möglichkeiten ihres Schutzes hinweist.

Selten und stark gefährdet ist das Braunkehlchen, das eine dramatische Negativkarriere vom Allerweltsvogel der Feldflur zur Rarität hinter sich hat. Im Land ging sein Bestand um über 50 Prozent zurück, da dem Bodenbrüter extensiv genutztes Grünland, Brachflächen und Hochstaudenfluren fehlen. Der Feldsperling hat sich wie der Haussperling dem Menschen angeschlossen und lebt in der Feldflur sowie in Gärten, Parks und an Ortsrändern. Er ist auf wenig versiegelte Siedlungen mit bunten Grünflächen, alten Bäumen und naturnahen Gärten angewiesen, wo es Bruthöhlen sowie Gras- und Kräutersamen als Nahrung gibt. Feldsperlinge stehen wegen deutlicher Rückgänge auf der Vorwarnliste. Der Neuntöter verdankt seiner Vorratshaltung den blutrünstig klingenden Namen: Er spießt Beute auf den Dornen von Gebüschen auf. Ihm machen wie dem Feldsperling der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft sowie die Ausräumung der Landschaft zu schaffen. Fehlende Büsche, Hecken, Viehweiden und Streuobstflächen lassen die Bestände beider Arten schrumpfen.

Teichhühner leben versteckt in ungestörten, grünen Uferbereichen. Die Begradigung von Fließgewässern, Beseitigung von Schilfsäumen, das Ausräumen und „Säubern“ von Gräben und Kleingewässern sowie Störungen durch Freizeitaktivitäten haben europaweit zu beachtlichen Rückgängen geführt. Trotz noch stabiler Bestände in Deutschland steht die schwarze Ralle mit dem roten Stirnschild und grünen Beinen auf der Vorwarnliste.

Der Trauerschnäpper steht für das Trauerspiel um Klimawandel und Insektenmangel. Er bewohnt lichte Laub- und Mischwälder, als Kulturfolger auch Parks, Gärten und Friedhöfe mit altem Baumbestand mit Nisthöhlen. Mancherorts halten sich punktuelle Vorkommen nur noch wegen des Angebotes an Nistkästen. Als Überwinterer im tropischen Afrika hat der Trauerschnäpper zunehmend ein Zeitproblem: Weil der Frühling durch den Klimawandel immer früher beginnt, gehen Trauerschnäpper oft leer aus bei der Suche nach Bruthöhlen. Bundesweit ist er wegen negativer Bestandstrends eine gefährdete Art. Während Trauerschnäpper in Baden-Württemberg und Bayern nur lückige Bestände haben, sind sie nördlich davon flächenhaft verbreitet.

Bis zum 27. Oktober kann die Öffentlichkeit unter www.vogeldesjahres.de abstimmen, welche der fünf Kandidaten „Vogel des Jahres 2023“ werden soll.

 

(September 2022)  Wenn der Sommer im September und Oktober mit warmem Hochdruckwetter endet, spricht man vom Altweibersommer. Dann fallen morgens die taubesetzten Spinnennetze auf und erinnern uns an die ökologische Bedeutung der oft nur als eklig empfundenen Achtbeiner.

Häufige und bekannte Vertreter der Spinnen sind die Gartenkreuzspinne mit ihren großen Radnetzen. Sie ist in Wäldern, an Wegrändern und in Gärten zuhause. Im Herbst zieht es manche Kreuzspinne auch ins Haus. In Gebäuden lebt die knapp zwei Zentimeter große Hausspinne. Hinter Möbeln und in Raumecken findet man ihre Trichternetze. Gespinstteppiche errichtet die Baldachinspinne auf Wiesen. Junge Baldachinspinnen spinnen einen Flugfaden, mit dem sie oft in großer Zahl durch die Luft schweben. Diese an graue Haare erinnernden Fäden sollen für den Begriff Altweibersommer verantwortlich sein.

Für Schlagzeilen sorgte jüngst die aus dem Mittelmeerraum stammende Nosferatu-Spinne, eine wärmeliebende Kräuseljagdspinne, die in und an Gebäuden lebt und einen Verbreitungsschwerpunkt hier im Südwesten in den Regionen Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Stuttgart hat. Fast 10000 Sichtungen stammen aus dem Land. Mit der Hausspinne gehört sie zu den größten gebäudebewohnenden Spinnenarten. Sie beißt zwar selten aber dann spürbar zu, befreit uns aber als nachtaktiver Jäger von Fliegen und anderen Insekten.

Global sind Spinnen unersetzliche Teile vieler Ökosysteme. Sie beseitigen Schmutz, verbreiten Samen und recyceln organisches Material. Eine aktuelle Studie ergab, dass auf der Welt 20 Billiarden Spinnen leben - eine 20 mit 15 Nullen und einer Biomasse von 12 Megatonnen. Das ist mehr als alle Vögel und Säugetiere zusammen auf die Waage bringen. Ein Großteil der Spinnen lebt in tropischen Savannen und Regenwäldern.

Im Herbst drängen viele Spinnen in unsere Gebäude. Wer die nützlichen Krabbler nicht mag, sollte nicht zum Pantoffel, sondern zu Glas und Postkarte greifen, die Spinne damit einfangen und lebend vor die Türe befördern.

 

(September 2022)  Krokusblüte, wenn die Äpfel reifen? Eine giftige Schönheit fällt derzeit im eher blütenarmen Herbst mit ihren rosa- oder violettfarbenen Blütenkelchen auf, die Herbstzeitlose. Die Staude ist von ihrem Zeitplan, ihrem unterirdischen Wuchs und ihrer Giftigkeit außergewöhnlich. Ihre Blütenform erinnert an Krokusse, sie hat jedoch im Gegensatz zu diesen sechs statt drei Staubblätter. Die Blüten sind oberhalb der Erdoberfläche fünf Zentimeter lang, stammen aber aus einer bis zu 40 Zentimeter langen weißen Blütenröhre, die tief unter der Erde aus der braunen Knolle entspringt.

Herbstzeitlosen blühen oft in großer Zahl von August bis November auf feuchten, nährstoffreichen Standorten auf Wiesen, Streuobstflächen und Böschungen. Im Herbst sieht man von Herbstzeitlosen nur die Blüten. Die grünen, tulpenartigen Blätter erscheinen erst in dem der Blüte folgenden Frühjahr, die eiförmigen Fruchtkapseln im Frühsommer. Die Herbstzeitlose ist eine Gift- und Heilpflanze. Ihr Wirkstoff Colchicin hemmt die Zellteilung und kann schwere, tödlich verlaufende Vergiftungen hervorrufen. In der Medizin wird Colchicin seit alters her und auch heute noch als Medikament gegen Gichtanfälle eingesetzt. Weidetiere meiden die Herbstzeitlosen, deshalb sind Viehweiden oft mit ihren Blüten übersät. Im Heu verfüttert führten Blätter der Herbstzeitlose zu Vergiftungen bei Kühen, Schweinen und Pferden. Bei Menschen kommt es im Frühling durch die Verwechslung der grünen Blätter mit denen des Bärlauchs zu Vergiftungen. Auch wenn die Blüten den höchsten Giftgehalt enthalten, zaubern sie doch nochmals viele bunte Farbtupfer in die herbstliche Landschaft.

 

(September 2022)  „Um Mariä Geburt (8. September) fliegen die Schwalben furt“ sagt eine alte Regel. Die sich jetzt sammelnden Mehl- und Rauchschwalben erinnern uns an den herbstlichen Vogelzug. Natürlich starten nicht alle Schwalben an einem Tag, sondern über den September verteilt. Bereits seit Juli haben sich andere Vogelarten wie Mauersegler, Pirol, Kuckuck oder Gartengrasmücke Richtung Süden aufgemacht. Auch viele Weißstörche sind aktuell bereits im Rhonetal, am Mittelmeer, in Zentralspanien und Nordafrika.

Als Kulturfolger und Gebäudebrüter leben Schwalben in und an unseren Gebäuden. Nach zwei oder drei Bruten brechen sie nun zum Herbstzug auf. Oft sammeln sich dutzende oder hunderte Schwalben schwatzend auf Stromleitungen, Hausdächern oder Baumwipfeln zu großen Gruppen oder kreisen hoch am Himmel zur Nahrungssuche.  Mehl- als auch Rauchschwalben sind Langstreckenzieher mit beeindruckenden Wanderleistungen, obwohl sie nur 20 Gramm wiegen und 30 Zentimeter Spannweite haben. Beide Arten überwintern in den Savannen und tropischen Regenwäldern südlich der Sahara, manche zieht es sogar bis Südafrika. In Nigeria gibt es ein Gebiet, in dem hunderttausende Rauchschwalben den Winter verbringen.

Auf ihrem Zug legen Singvögel durchschnittlich etwa 50 Kilometer pro Tag zurück. Gebirge, Meere und Wüsten sind für sie keine Hindernisse. Zur Orientierung nutzen Zugvögel die Sonne und Gestirne sowie das Erdmagnetfeld. Insektenfressende Vogelarten verlassen uns frühzeitig, um auch im Winterhalbjahr optimal versorgt zu sein. Lange Reisen sind für Zugvögel nicht ohne Risiko. Im Vordergrund stehen widrige Witterung, Nahrungsengpässe und Beutegreifer. Auch direkte Verfolgung spielt eine Rolle, aber wesentlich nachhaltiger negativ wirken sich unsere Lebensweise und Landnutzung aus: Die durch sie bedingten Verluste an Lebensräumen, Insekten und Brutplätzen bringen viele Vogelarten in existenzielle Not. Auch in den nächsten Wochen lohnt es sich auf Zugvögel zu achten, wenn weitere Sing- und Greifvögel bei uns durchziehen. Und nicht nur Vögel gehen auf große Reise: Selbst federleichte Schmetterlinge wie Admiral und Distelfalter fliegen derzeit zielstrebig über die Alpen zurück ans Mittelmeer.

 

(August 2022) Abendliche Grillen- und Heuschreckenkonzerte gehören zum Hochsommer wie der Vogelgesang zum Frühling. Der August ist der ideale Heuschreckenmonat, denn jetzt machen nahezu alle der 80 in Deutschland vorkommenden Arten mit ihrem „Gesang“ auf sich aufmerksam. Im Gezirpe weder zu überhören noch zu übersehen ist das Grüne Heupferd (Tettigonia viridissima), unsere mit bis zu vier Zentimetern Körperlänge größte Heuschreckenart. Heupferde sind meistens grün gefärbt, haben lange, dünne Fühler, lange Beine und eine an ein Pferd erinnernde Kopfform. Die Weibchen sind etwas größer als die Männchen und tragen einen nach hinten ragenden, dolchartigen Legestachel, mit dem Eier am Boden abgelegt werden.

Das „Singen“ der Männchen ist eigentlich ein Stridulieren, indem sie die beiden Vorderflügel aneinander reiben. Dabei entsteht ein schwirrender, leicht zerhackt klingender Dauerton, der bis zu 150 Meter weit zu hören ist. Grüne Heupferde sind Morgenmuffel. Erst am Nachmittag beginnen sie zu singen, halten dann aber bis tief in die Nacht durch. Heupferde können hüpfen, sehr gut klettern und auch kurze Stecken fliegen. Dabei können sie mit einem kleinen Vogel verwechselt werden. Bevorzugte Lebensräume sind trocken und warm, wie Wiesen, Wald- und Wegränder, Obstgärten, Feldern und Gärten. Mitunter verirrt sich ein Heupferd auch in die Wohnung.

Heuschrecken durchlaufen im Gegensatz zu Schmetterlingen eine unvollständige Verwandlung. Deshalb findet man von Mai bis Juli die kleineren Larven in niedriger Vegetation und von Juli bis Oktober „fertige“, große Heupferde, die gerne in Sträucher und Bäume klettern. Heupferde ernähren sich besonders gerne von Blattläusen, aber auch von Käferlarven, Fliegen, anderen kleinen Heuschrecken und pflanzlicher Nahrung.

Vom 5. bis 14. August sind alle Insektenfans aufgerufen beim www.insektensommer.de auf die vielfältige und wichtige Welt der Sechsbeiner zu achten, sie zu zählen und zu melden.

 

 

(August) Wenn wir zu Bett gehen, werden sie aktiv: Fledermäuse, die Schönen der Nacht. Lautlos fliegen sie gewandt in Wäldern, an Gewässern, auf Obstwiesen. Viele Arten sind echte Städter und flattern durch Anlagen, Kleingärten und Friedhöfe. Ab der Dämmerung sind sie mit Ultraschallpeilung auf Insektenjagd, den Tag verschlafen sie je nach Art in Baumhöhlen, Mauerspalten oder auf geräumigen Dachböden und in Kirchtürmen. Da Fledermäuse im Jahreslauf verschiedene Quartiere und abwechslungsreiche Landschaften benötigen, in denen sie jagen und leben können, sind sie durch Nahrungsmangel, Gifte, Lebensraum- und Quartierverluste sowie Lichtverschmutzung gefährdet und deshalb geschützt. Typische Gebäudefledermäuse sind Mausohr, Zwerg-, Breitflügel- und Zweifarbfledermaus. In Wäldern leben Braunes Langohr, Abendsegler und Wasserfledermaus. Beide Gruppen sind darauf angewiesen, dass wir ihnen Bäume mit Höhlen stehen lassen und Quartiere in Gebäuden tolerieren, Einflüge ermöglichen und sie nicht wegsanieren. Jetzt im Hochsommer ziehen dutzende, manchmal hunderte Weibchen in solchen ungestörten Quartieren ihre Jungen groß. Außerdem profitieren Fledermäuse von artenreichen Gärten mit nachtblühenden Stauden. Alle 25 in Deutschland vorkommenden Arten sind keine gefährlichen Blutsauger, sondern harmlose, nützliche Insektenfresser. Mücken, Schnaken, Fliegen, Falter, Käfer und Spinnen stehen auf ihrem Speiseplan. Bis zu 4000 Mücken vertilgt eine Fledermaus pro Nacht.

Im August und September kann es vorkommen, dass vor allem junge Zwergfledermäuse versehentlich in Wohnungen einfliegen und sich tagsüber in Gardinen oder hinter Bildern verstecken. Das ist kein Grund zu Panik! Entdeckt man eine verflogene Fledermaus, sollte man sie nicht anfassen, aber abends die Fenster weit öffnen, um ihr den Ausflug zu ermöglichen. Wer die Flugkünstler der Nacht live erleben und mehr über sie erfahren möchte, kann an einer Veranstaltung zur Internationalen Fledermausnacht „Bat Night“ am 27. und 28. August 2022 teilnehmen (www.nabu.de/termine).

 

(Juli) Um heimische Insekten zu unterstützen, braucht es nicht unbedingt Blühflächen und spezielle Samenmischungen. Die besten Lösungen hat die Natur längst selbst entwickelt: Zum Beispiel den Natternkopf (Echium vulgare), an dessen Blüten nicht weniger als 38 verschiedene Wildbienenarten Pollen und Nektar tanken. Zudem nutzen gerne Schmetterlinge wie Dickkopffalter, Distelfalter, Großer Kohlweißling, Schwalbenschwanz oder Mittlerer Weinschwärmer die Blüten. Das 30 bis 100 Zentimeter hohe, zweijährige Boretschgewächs ist mit Beinwell, Ochsenzunge und Wachsblume verwandt und wächst bevorzugt in Gruppen auf trockenen, kargen Standorten wie Wegrändern, Straßenbanketten, Gleisanlagen, Schuttflächen und Steinbrüchen. Die Borstenhaare am Stängel sind eine Anpassung an die Trockenheit. Die Wurzeln reichen bis zwei Meter Tiefe. Der Natternkopf blüht von Mai bis September. Seine blauen Blüten sind als Knospen zunächst rot, wechseln dann in rosa und haben erst im geöffneten Zustand die typische blaue Farbe. Der Blütenform verdankt die Pflanze ihren Namen: Da die aus der Blüte herausragenden Staubblätter an einen Schlangenkopf erinnern, galt der Natternkopf im Volksglauben als Mittel gegen Schlangenbisse.

Die blauen Blüten werden sehr gerne von Pelz-, Mauer-, Schmal- und Keulhornbienen angeflogen. Will man Wildbienen richtig unterstützen, braucht es neben einem chicken „Insektenhotel“ zwingend auch ausreichend viele Blüten. Für eine der Mauerbienenarten wurde errechnet, dass sie für die Versorgung einer Brutzelle 164 Natternkopf-Blüten besuchen bzw. eine Pflanze zur Hälfte „abarbeiten“ muss, um genügend Pollen für eine ihrer Larven eintragen zu können. Der blütenreiche Natternkopf ist also die ideale blühende Ergänzung zu Insektennisthilfen, der enorm vielen Wildbienen bei der Fortpflanzung nützt und sich zudem oft von selbst ansiedelt. Wo er wächst, sollte man ihn also nicht abmähen, sondern unbedingt stehen lassen - fürs Auge und vor allem für viele fleißige Wildbienen!

 

(Juli) Auf den ersten Blick hält man es für einen Kolibri, das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum). Der tagaktive Nachtfalter aus der Familie der Schwärmer ist ein richtiger Flugkünstler. Er beherrscht nicht nur den rasanten Geradeausflug perfekt, sondern auch den Schwebeflug. Wie ein Hubschrauber steht er schwirrend vor Blüten in der Luft, um mit seinem bis zu drei Zentimeter langen Rüssel Nektar aus Blüten zu saugen. Besonders beliebt sind unter anderem Lippenblütler, Sommerflieder, Fingerhut, Natternkopf, Verbenen und Weidenröschen. Systematisch werden in kurzer Zeit viele Blüten nach Nektar abgesucht, denn sein Energiebedarf ist hoch. So schafft das Taubenschwänzchen 100 Blüten pro Minute und tausende pro Tag. Bevorzugte Lebensräume sind Wiesen, Felder, Waldränder, Gärten und Parks. Nicht selten besuchen Taubenschwänzchen aber auch begrünte Balkone, wenn dort z.B. Geranien blühen.

Die Falter sind zwei bis drei Zentimeter lang und ihre braunen Vorder- und die kleineren orangen Hinterflügel haben eine Spannweite von 3,6 bis sechs Zentimetern. Die federartigen Schuppen am Hinterleib dienen der Flugsteuerung. Taubenschwänzchen sind Wanderfalter aus Südeuropa, die bei uns zwischen April und November in mehreren Generationen fliegen. Im Rahmen des Klimawandels überwintert die frostempfindliche Art zunehmend bei uns. Die Wanderleistung ist beachtlich, der kleine Schmetterling legt in 14 Tagen 2000 bis 3000 Kilometer Strecke zurück und erreicht im Sommer Großbritannien, Island und Russland. Die vier bis fünf Zentimeter langen, grünen Raupen leben ausschließlich an Labkräutern und Färberröten. Dem eigentlich unverwechselbaren Taubenschwänzchen sehen allenfalls die kleineren Dickkopffalter sowie Nachtkerzen- und Hummelschwärmern ähnlich. An heißen Sommertagen machen Taubenschwänzchen mittags Siesta und fliegen vor allem morgens und abends.

 

(Juli) Der Name ist Programm: Ein Meer leuchtend hellblauer Blüten säumt derzeit viele Straßen- und Wegränder. Allerdings nur, sofern dort nicht gemäht wurde und man früh genug hinschaut. Denn die Wegwarte (Cichorium intybus) blüht nach einem Zeitplan: Ihre drei bis fünf Zentimeter großen Blütenköpfe öffnen sich nach Sonnenaufgang und schließen sich bereits um die Mittagszeit. Deshalb erscheint sie nachmittags als grüne, vermeintlich blütenlose Pflanze. Wegwarten-Blüten sind hoch attraktiv für Schwebfliegen, Käfer, Tagfalter und mindestens 38 Wildbienenarten. Die verschiedenen Blüten-Öffnungszeiten optimieren die Besuche von potenziellen Bestäubern.

Die krautige, tief wurzelnde Staude wird bis zwei Meter hoch, blüht von Juli bis September und bevorzugt als Pionier- und zudem salzverträgliche Pflanze sonnige Stellen an Wegrainen und Straßenrändern. Im Volksglauben galt die Wegwarte als verwunschene Jungfrau, die am Weg schmachtend auf ihren Liebsten wartet… Die Verbreitung erfolgt über Samen, die vom Regen ausgewaschen und verteilt werden. Im Herbst sind die kleinen Früchte bei Finken und Sperlingen sehr beliebt. Der Blütensaum entlang von Straßen wirkt in der Natur somit als Verbindungslinie, von der Insekten und Vögel profitieren. Früher wurde die Wegwarte als Heil- und Gemüsepflanze verwendet. Aus dem Supermarkt ist uns ihre Verwandtschaft gut bekannt: Endivie, Chicoree oder Radicchio und der aus der Wurzelzichorie geröstete, legendäre Kaffeeersatz „Muckefuck“ sind Kulturformen der blau blühenden Staude am Wegrand.

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